Ekke, Nekke und Penn in Nordfriesland

Was wir trinken wollen, fragt das weizenblonde Mädchen hinter dem Tresen. In ihren Augen flimmern Lichtpunkte, die gut und gern Sternenbilder sein könnten: Kein ohnmächtiger Orion, ein nautisches Nordsterndiadem auf der Stirne aller Gestirne! So sind wir Fahrensleute, die nach diesen Konstellationen steuern. Vielleicht liegt es an unseren braungebrannten bärtigen Gesichtern, in die ihre blauen Blicke stoßen, wie ein Kahn an Land nach langer Überfahrt. Es sind die Eilande einer innereren Existenz, die einen unbegreiflichen Hintergrund zum Horizonte haben: Die reine Täterschaft des Träumens.

Was wir trinken wollen? Als ob das eine Frage wäre, die wir hören könnten bei diesem Anblick, der allen Durst vergessen macht! Das Leben wird weit und wirr, wenn es Gestalten wie uns an die Dünung des Alltags spült. Die Mädchenblicke sammeln das Strandgut dieser Sekunden und legen es in die geheimen Gefäße künftiger Erinnerung: Wirklichkeitsverwirrung, die seltsame Mär unserer fernbleibenden Erscheinung.

Und in den scheuen Augenwinkelblicken, die uns während unserer Lieder und Gespräche treffen, nistet die ewige Zugvogelseele der Seefahrervorfahren des Mädchens. Doch der Wirt ist streng und behält die Rotwangigen im mißtrauischen Blickfeld. Wir aber lachen und singen die Verhältnisse zunichte, greifen unbekümmert in die Verkettungen der Geschicke, verweigern Absichten, zertrümmern Gebote. Und wer da noch nicht die Chiffren deutet, die am Bug unserer Karperfahrtflotte in unscharfen Gewitterbuchstaben getüncht sind, denen drücken unsere liedgewordenen Träume als eine dunkle Ahnung die Luft der Spießerdaseinsfreude ab, machen alles ungewiß, wackelig und zweifelhaft, was da bis eben noch der sichere Boden einer Welt gewesen.

Lumpenpack

Kaffee satt. Gestern abend waren es noch die Strauchdiebe, die wie selbstverständlich an den muskelbepackten Türstehern der alljährlichen Bonzenparty im Syltener Kampen vorbeitrotteten und unter „Da sind wir, Tschuldigung für die Verspätung, der Chef ist drinnen, oder?“ die Gitarren schwingend Einlaß begehrten und diesen nach einem blöden „Ach so, ihr seid wohl die Musik!?“ und einem naßforschen „Na klar“ auch erhielten. Das war ein Leben, die Austernplatte und die Naschkätzchen zu plündern, zu rülpsen und in der Nase zu popeln und sich nebenbei mit den schweren Rucksäcken durch die angewidert glotzenden Feinbezwirnten zu drängeln. - Heute allerdings miauzt der Kater, den nur ein noch zu ersingender Kaffee vertreiben kann. Also hinein in ein angenehm teures Kaffeehaus und gegrölt: „Denn ich bin ein Vagabund, bin ein liederlicher Hund, doch die liebe, liebe Sonne scheint genauso gut wie dir ...“, den wüsten Beifall und einige Geldscheine abgefaßt und ein ausgiebiges Frühstück mit „Kaffee satt“ spendiert bekommen, wobei sich ein graumelierter Herr besonders hervortut. Der edle Spender, der sich irgendwann als ein Herr Reinhard Mey herausstellt, kommt alsbald samt Frau und Kind zu den Gefräßigen, meint, die hätten klasse gesungen und er hätte nun einen Ohrwurm. „Denn ich bin ein Vagabund ...“. Na, hoffentlich haben die Lumpenbrüder da nicht einen sangeskräftigen Konkurrenten bekommen!

Fahrensleute. Da stehen sie wieder, diese komischen Typen mit ihren Hüten. Drüben am Kai singen sie sich ihr Geld für die verdammt teure Fähre zusammen. Doch sie müssen nicht zahlen - ein älterer Herr, der ihnen wegen eines Geburtstagsständchens noch eine gute Tat schuldig ist, fragt im Gedränge der Passagiere den Käpt'n, und der fragt zurück: "Singen sie denn wenigstens ordentlich?" Ein einstimmiges "Ja!" entschwillt der Menge. ... Drüben, auf der Insel Amrum, ist es schon sehr spät, die Zeit drängt. Wie nur vorwärtskommen? Kaum ist der Daumen draußen, hält ein Bus. "Guter Herr Busfahrer, können Sie vielleicht drei müde Wanderer ein Stück des Weges mitnehmen? Wir zahlen auch mit Gesang." Im Wagen, der vorher einem Geisterschiff auf Fahrt ins Leichenschauhaus glich, tobt auf einmal die Stimmung, lacht und johlt jung und alt, der Busfahrer grinst vergnügt in den Rückspiegel, viele Passagiere kramen aus hilfloser Dankbarkeit vor der unerwarteten Situation in ihren Geldbörsen. Am Zielorte angekommen läuft der Fahrer noch einmal zu den Gesellen auf den Bürgersteig und bedankt sich artig dafür, daß er sie mitnehmen durfte.

Ekke Nekkepenn.Sie brechen herein wie Naturgewalten, grölen ihre Lieder, zaubern Trauerklöße zu Lachmöwen, trostlose Gastronomie-Abspeisungen zu wüsten Gelagen und freundliche Mädchenaugen zu lustig funkelnden Sternen. Wird ihnen dann die Frage gestellt: "Wie lange seid ihr in der Stadt?" oder "Singt ihr morgen noch einmal?" oder "Wollt ihr nicht hier auf dieser oder jener Veranstaltung auftreten?", dann ist dies zuviel eines Planes, der Terminlichkeiten kennt. So, wie sie plötzlich in der Stadt, dem Dorf auftauchen, Essen, Trinken, Geld, Deernen und des Nachts vielleicht noch eine Schlafstatt abfassen, ihren wüsten Schabernack treiben, dafür mit Gesang dienen, Menschen glücklich oder toll machen, so schnell sind sie augenblicklich wieder verschwunden. Der aufgewirbelte Staub setzt sich, als beruhigender Teppich legt er sich wie gewohnt über den Ort.

Nobelabsteige. Dort lungern drei Hagedorne inmitten des Städtchens Husum, das sie wegen seiner Trostlosigkeit "Apolda des Nordens" tauften. Wohin heute? Auskunft gibt ein Anschlag, auf welchem die Herbergen der Stadt aufgelistet stehen: oben die feinen, mit vier Sternen versehen, unten die trostloseren mit dreien oder zweien. Ein Finger wandert unwillkürlich nach oben: "Hier fangen wir an!" Kaum gesagt, löst sich ein dralles Weib aus dem Gemenge, tritt heran und spricht: "Ihr seid hier willkommen, ich bin die Besitzerin des obersten Hotels, und jede Woche will ich eine gute Tat vollbringen. Nun seid ihr dran - ihr sucht gewiß eine Schlafstatt." Verwundertes Nicken, aber die Sache ist schnell abgemacht: zwei Gemächer, drei warme Essen und Getränke satt, dafür - so denn ihnen die Lust stehe - etwas Singsang am Abend. - Solchen Wirten dankt man höflich und nimmt das Ansinnen an.

Der Seewolf von Husum. Da steht es plötzlich wankend, aber standhaft vor uns, was die Gezeiten irgendwann einmal in das kleine Städtchen Husum spülten: das Wrack der sieben Meere, auf dem Haupte eine alte Bommelmütze. Und es spricht zu uns durch einen krausen Rauschebart: "Ihr habt einen besonderen Wortschatz…" Es ist ein alter Kerl, der schwer atmet und Pausen nach den kurzen, heftigen Sätzen benötigt, um nach einem Japsen doch noch weiter auf der Drehorgel seiner Stimmbänder zu leiern: "…und ihr macht davon Gebrauch!" Dabei hebt er beschwörend seinen Zeigefinger in den Dunst des Kneipenraumes, als wäre dieser der Mast, an welchen die Alkoholfahnen seiner Worte eindrucksvoll gehißt seien. Ein zittriger Zeigefinger! Aber der Blick, der Blick so ruhig wie eine auf Sand gesetzte Boje. - - - Der Suff und die Sorgen haben wohl satte 60 Jahre gebraucht, um die knorrigen Furchen durch das Gesicht dieses Mannes zu graben. Er sieht aus, wie Theodor Storm ausgesehen haben müßte, wäre ihm ein hungriger Wind ins Leben gefahren und hätte alles umgeworfen, was im Boden verwurzelt stet und fest. Wir prosten ihm zu, diesem Schelmengesicht der rauhen Weltmeere, und lassen uns weiter das sonderbare Seemannsgarn aus seinen Gedankentruhen um die Ohren wickeln. Da treibt die Geschichte seines Lebens zu uns, die weit, weit vor ihm Anfang genommen hat: "Min Uuur-uuur-Großvadder", so beginnt er seinen Bericht, "hadde einen Veermaster - aber der Schiffsbauch…" und indem er dies sagt, beugt er sich, das Rätsel der Weltgeschichte vor allzu neugierigen Ohren verbergend, heimlich zu uns "...hat nicht dicht gehalten - nich dicht! Die ganze Ladung voll mit Rumfässern... Aber der Schiffsjunge, ich sag's euch, der hat dicht gehalten ... denn das in den Fässern war nicht Rum ... das war Grütze ... bunte Grütze." - - - Wir glauben`s ihm, dem brummigsten Seewolf zwischen Nordkap und Falkland, dem Sabberkönig von Husum. Was hätte ihm auch sonst so sehr ins Hirn schlagen können?!