Um den Thüringer Wald herum

Wir poltern die Treppen des Hinterhofhauses himmelan, gelangen an die Tür mit der krakeligen Inschrift "Freikorps". Hinein in die Bude, zwei Betten stehen bereit, zwei wackelige Stühle, ein bekleckerter Tisch und ein eiserner Herd. Wir schlagen Holz und feuern, entstöpseln Bierflaschen und drehen uns Zigaretten von dem knarzigen Tabak, den unsere Vorgänger auf ihrer offensichtlich eiligen Flucht achtlos zurückließen. Stille herrscht nun, die Schwaden des kalten Herdes vermengen sich mit denen unseres Rauchkrautes. Von der Wand brüllen Plakate von siegreichen Helden in einem erwachenden Italien. Dies also ist uns nun Herberge und Unterkunft für eine Nacht. Doch lang ist unser Verweilen vorerst nicht. Wir schnüren schon wieder die Rucksäcke, löschen das Licht und stürzen uns in das Nachtleben, welches die Stadt unterhalb der Wartburg für ebenso aufdringliche wie unstete Lumpenbrüder bereithält.

Lumpenpack


Wer hat Sex? In einer Eisenacher Kneipe bekommen wir 10 Dukaten von einem Gast, der jedoch dafür unsere Hüte haben will. Das Geld bekommt er unter Protest wieder. Im aufschwelenden Streit kommt uns eine junge Punkerin zu Hilfe: "Ey Alter, laß die in Ruhe, das sind meine Jungs, mit denen habe ich Sex!" Verdutzt glotzen wir aus unserem tiefblauen Rausch: Davon haben wir ja noch garnichts bemerkt!?

Zum fröhlichen Dingflebener. Nachdem wir alle lustigen und trostlosen Kneipen Meiningens abgeklappert haben, sehen wir eine rauchige Spelunke mit Werbung für Dingflebener Bier. Eigentlich sollte es wohl Dingslebener heißen, aber die versoffenen Brauer hatten wohl nur eine Frakturschrift mit langem s auf der einen und mit rundem s auf der anderen Tastatur, so daß die Dings-lebener Bier-spezialitäten zu Ding-slebener Biers-pezialitäten etikettiert wurden und der arglose Betrachter sowieso "Dingflebener" lesen muß. Also hinein in die gute Stube, an einem Tisch würfeln wirklich einige Zecher, und ein hagerer Schnauzbart, der davor steht, knurrt etwas von "Betteln und hausieren verboten". Das muß der Wirt sein! Ruelps fragt laut "War das nun eine Einladung?". Keine Antwort. Die Lumpenbrüder setzen sich und beginnen zu singen. Der Wirt dreht sein Radio auf, die Lumpenbrüder singen weiter. Der Wirt dreht lauter bis zum Anschlag, was die Anlage eben so hergibt. Die Gäste halten sich die Ohren zu vor dem tosenden Lärm und die Lumpenbrüder verstehen ihr eigenes Wort nicht mehr, singen dennoch unverdrossen. Das Konterfei Walter Ulbrichts glotzt derweil unschuldig aus einem Bilderrahmen. Der Wirt dreht die Mucke nun aus und die Lumpenbrüder lassen die letzten Liedzeilen fröhlich verklingen. "Und nun gibt der Wirt sicher ein Bier aus!", jubelt Stapfi in die schweigende Runde. Dem Wirt bebt das Kinn vor Wut: "RAUS!" Rülps schreit zurück: "Ja, raus mit dem Bier!" Der Wirt zieht ihm dafür den Stuhl unterm Hintern weg: "RRRAUS!" So gehen wir eben und tun saure Mienen. Im Vorraum liegen stapelweise Werbepostkarten und wir grinsen schon wieder. Der lustige Wirt freut sich gewiß, wenn wir die niedlichen Pappkarten in hohem Bogen vor der Kneipe auswerfen. Soll doch jeder sehen, daß hier der Bär tanzt!

Skurriles Mißverständnis. Im Bioladen von Hildburghausen trinken wir einen freundlich erbetenen Kaffee, da betritt eine betagte Dame mit Pelzmütze den Laden. Und so spielt sich am Sonnabend kurz vor Ladenschluß folgende Szene ab:

    Verkäufer: "Wollten Sie noch etwas?"
    Dame schaut suchend im Laden umher, ihr Blick bleibt irgendwo hängen, sie murmelt laut: "Ach, aja!"
    Verkäufer greift ein Sechser-Paket Eier aus dem Regal hinter sich und fragt: "Wollen Sie sechs?"
    Dame empört, jetzt wieder zum Verkäufer blickend: "Na hören Sie mal, ich bin verheiratet!"

Beule vom Boiler. Ziemlich berauscht noch erwachen wir im altehrwürdigen Sonneberger Gemeindehaus, welches sein Dasein lediglich der Kirchenleitung verdankt, die nur eine Sanierung, aber keinen Neubau finanziert. Und so muß die örtliche Gemeinde zähneknirschend das Haus in Ordnung halten. An so etwas denkt Ruelps jedoch nicht, als er morgens in der Küche den Wasserhahn unter dem mit Miniaturschrauben an die Wand gesteckten 40-Liter-Boiler berührt, um sich die heiße Stirn an kühlem Naß zu laben, stattdessen aber der Boiler auf die Rübe kracht, daß es nur so scheppert. Die Kopfschmerzen werden nicht weniger.

Bierverzicht. Bei Spechtsbrunn nahe dem Rennsteig klappern uns die Zähne vor Nebel, Eis und Schnee, in Piesau sieht die Welt bei lichtgrauem Himmel und Nieselregen wieder sehr viel freundlicher aus. An einer Tankstelle halten wir die Daumen raus und werden gefragt, ob wir denn Durst hätten, man würde uns zwei Bier kaufen. Es ist Mittagszeit, außerdem stoppelt es sich mit Bierflasche in der Hand schlecht. Wir nicken widerwillig, erhalten dann aber doch fünf Dukaten mit dem Hinweis, wir sollten unser Bier gefälligst selbst kaufen. Wir nicken freundlicher. Alsbald werden wir von einem älteren Pärchen nach Saalfeld mitgenommen und bekommen obendrein als Freundschaftsgabe einen halben Stollen. Wir ahnen, daß vor wenigen Tagen Weihnachten gewesen sein muß.

Pennerherberge. Im „Thüringer Hof“ zu Rudolstadt wird uns nach einer leckeren Portion Thüringer Klöße mitgeteilt, daß es im Orte eine von der Stadt eingerichtete Obdachlosenherberge gäbe. Au fein! Wir wundern uns zwar, wozu eine solch kleine Stadt dies benötigt, hörten aber auch, daß es hier einen Handwerkerhof samt Zunftkeller gäbe. In Gedanken sehen wir uns schon als dufte Kunden zum Pennebos tippeln, in der speckigen Küche die zugeteilte Portion Brotsuppe löffeln, mit verkoteten Wandergesellen und armen Tippelhalunken den Abend bei Zoten und Pennerlatein verzechen, um pünktlich zur Nachtruhe vom Pennebos in die verwanzte Schlafkammer gesperrt und frühmorgens mit Trillerpfiff zur Körperhygiene getrieben zu werden. Denkste! Die Pennerherberge entpuppt als mit alten Sylvesterfeier-Spießern bereits ausgebuchte Jugendherberge, der Zunftkeller als bürgerliches Speiserestaurant, das heute zudem Ruhetag hat. Wir werden uns wohl den Abend im hübschen Haus der Jungen Gemeinde bei Rotbuschtee gemütlich langweilig machen müssen.